Deutsches Larp – was ist das eigentlich?

Als vor ein paar Jahren langsam skandinavisches Gedankengut in unsere hübsche, kleine und saubere Larpwelt sickerte, da besuchten auch erste Spieler aus meinem Umfeld bewusst Spiele mit dem Label “Nordic Larp”. Seither ist der Einfluss und die Reichweite sowohl von Larp als auch von Nordic-Larp stetig gewachsen. Die Anzahl der Spieler hat ebenso zugenommen wie die Menge der angebotenen Cons. Immer wieder haben wir seither darüber geredet, was eigentlich Larp ist – und was es nicht ist. Denn Jens Scholz’ Vortrag: Larp und Social MediaDas deutsche Larp kommuniziert nicht ist nach wie vor aktuell – wenn auch aus meiner Sicht nicht mehr so akut wie vor vier Jahren.

In der Deutschschweiz haben wir im Rahmen der Contakt 2015 darüber philosophiert, was wir eigentlich machen. Und schon damals haben wir festgestellt, dass “Nordic Larp” – ob es als ” school of larp game design” oder als “movement” gesehen wird – sich auf der Suche nach einem Selbstbeschrieb gemacht hat. Die Suche dauert an, aber immerhin – es existiert eine Diskussion. Kurze Blicke auf den deutschen und den Schweizer Larpkalender machen aber deutlich: Mittlerweile können “Nordic Larp”-Spiele auch im Beschrieb von “anderem” abgetrennt werden. Aber was machen wir denn selber? Wenn man sich umhört, sind zwar einzelne Spiele immer mal wieder exakter beschrieben – aber es verbleibt eine undefinierte Restmenge (“JeKaMi”, “Feld-Wald-Wiesen-Fantasy” usw.). Was sind denn die Eigenschaften dieser, das Gross ausmachenden, Spiele? Hier ist ein Versuch, “das was wir machen” zu beschreiben.

Deutsches Larp ist auf zwei Ebenen Kampagnen-bezogen. Die zwei Ebenen sind die Mikro-Ebene, also der einzelne Spieler, und die Makro-Ebene, damit sind Spiele und Kampagnen gemeint. Die Mikroebene lässt sich am besten als Ego-Kampagne verstehen, die Makroebene als Spiele (Veranstaltungen), die aufeinander Bezug nehmen.

Ego-Kampagne: Der Zusammenhang, die Kohärenz der Geschichte, ist wichtiger als alles Andere. Deutsche Larper sind in der Lage, trotz Logikbrüchen und Charakter-Heimweh über Jahre in verschiedenen Arrangements, Hintergrund-Ländern und Kampagnen dieselben Charaktere zu bespielen. Der Umgang damit, dass sich gewisse Muster totlaufen, ist routiniert, denn den Charakter zu behalten ist wichtiger. Der Tod des Charakters wird vermieden oder stellt die Ausnahme dar. Ausrüstung, Kleider und Requisiten können für Charaktere zugelegt werden, deren Wert in die Tausende geht: Denn wird erwartet, dass dieser Charakter immer mal wieder bespielt werden wird. Jeder bespielt seine eigene Abenteuerreise, seine eigene Ego-Kampagne. Diese wird ausgebaut, passende Spiele werden für Charaktere gesucht, teils auch unpassende als Plattform für die Ego-Kampagne (miss-)braucht. Als Nickname im Internet oder als Rufname auf einem Con wird der Charaktername verwendet, und in manchem Ausdruck wird ein “ich” einfach als “natürlich IT gemeint” etikettiert. Der Charakter wird zu einem Alter Ego, manchmal mehr, manchmal weniger identisch mit dem Spieler.

Welt-Kampagne: Interessanterweise sieht deutsches Larp seine (Fantasy-)Spiele gerne als eine grosse Welt, der Kampagnen-Gedanke durchdringt die Veranstaltungen und Veranstalter. Spiele werden durchnummeriert, aber damit nicht etwa die Anzahl Durchgänge angegeben, sondern das Kapitel der Kampagne. Aufbauend auf vorangegangenen Spielen, wird eine Hintergrundwelt immer wieder benutzt, soll immer noch und wieder Anfänger-freundlich sein, aber durch Stil und Beibehalten von Details und Elementen auch Stammspieler immer wieder anziehen. In vielen Fällen existiert im Kopf der Spieler sogar ein einziges grosses Fantasy-Reich, in dem auch gerne bunt gemischt wird. Am deutlichsten sichtbar wird dies in der Optik, zwischen Kelten und Tschakos ist alles ein bisschen Fantasy (Kein Wunder wird das Exotische Standard). Ebenfalls deutliche Merkmale der Kampagne sind Verbindungen wie die Mittellande oder in der Schweiz die Cendara-Kampagne.

Was bedeutet das? Das System bietet eine Menge Vor- und Nachteile, vielleicht besser als Charakteristika zu sehen: Die Mikroebene erzeugt lange Geschichten für die Spieler. Jahrelange Freundschaften sind möglich, die Entwicklung eines Charakters und seine Neigungen können sich im Lauf der Zeit verändern und die Ausrüstung muss wesentlich länger in Gebrauch bleiben können – was ihre Qualität verbessert. An einem gespielten Wochenende auch einmal zurückhaltend auftreten ist kein Problem – die Geschichte endet ja nicht. Gleichzeitig aber finden sich nicht immer passende Spiele für einen Charakter, so dass dieser auch ab und an mässig passende Spiele besucht – und dort vielleicht als unpassend wahrgenommen wird. Arrangements, bei denen Charaktere tiefgründiges Erleben sind rar. Szenen, bei denen die Emotionen überhand nehmen – und sogar auf die Spieler durchschlagen – ergeben sich eher zufällig, wenn die für das ganze Spiel angedachte Geschichte wirklich gut zum anwesenden Charakter passt.

Die Makroebene ermöglicht wiederum richtig grosse, lange und epische Geschichten. Handlungsstränge können über Jahre gehen, mit gewissem Aufwand kann ein Veranstalter seine Stammspieler halten und erzeugt spielerische Stabilität. Ein Hintergrund kann auch sehr exotisch gestaltet werden, denn er hat Jahre Zeit, um zu wachsen und sich zu verbessern. Innerhalb der Kampagne können viele verschiedene Facetten bespielt werden, verschiedene Locations ausgenutzt und verschiedene Stile abgedeckt werden. Unter Umständen können sogar Vorgaben bei den an den Spielen zugelassenen Charakteren ganz eng gesetzt werden. Doch leider sind die Effekte nicht nur positiv. Eine lange Geschichte bedeutet auch viel Altlasten, die neueren Spielern selten gut zugänglich sind (Beispiel Mythodea, der Blog zeugt von Selbstreflektion). Auch Tikon hat ab und an Neigungen gezeigt, sehr alte Geschichten als aktuelle zu benutzten.

Dieser Kampagnen-Fokus durchzieht das Denken von Spielern und Organisatoren und erzeugt dadurch Zwänge, die als solche schlussendlich dem Spiel schaden (Beispiel: Das Dämonen-Bann-Ritual funktionierte nicht, weil es vom kanonischen Ritual abwich, dessen Existenz aber von Spielern/Charakteren gehütet wurde, die in Teil 6 aus der Kampagne ausgestiegen sind. Aus Sicht der Orga “konsequent, logisch”, aus Sicht der Bannenden: Besch… euert.)

Daraus ergeben sich für mich ein paar Konsequenzen:

  • Dokumentieren. Kampagnen brauchen Ablagen, Hinweise, Bibliotheken. Vielleicht sogar Homepages, auf denen die Spielergruppen nicht nur notiert sind, sondern mitgestalten können – Macht der Hintergrundorga geht an die Spieler.
  • Die Spielerschaft fluktiert. Entweder muss man Neuzugängen in der Kampagne besonders Hand bieten – nicht etwa, auf den “früher mal geschriebenen” Hintergrund verweisen, sondern auf das, was am Spiel tatsächlich passiert, wer anwesend ist und wer was zu sagen hat.
  • Die Spielerschaft fluktiert. Nicht jedes Spiel muss Anfänger-tauglich sein.
  • Kommunikation. Die Orga muss sich sorgen, dass ihre Spielerschaft entweder gut vernetzt wird, oder dass sie zentral arbeitet.
  • Wenn alles einen leichten Meta-Kampagnen-Ansatz beinhaltet, dann helfen einzelnen Orgas Spielstil-Beschriebe.

 

Was in dem Artikel dafür noch fehlt: Ein prägender Name. Ich bin für Vorschläge sehr offen.