Werteverstellung

Ein paar Gedanken zum Gutmenschen und dem Bösewicht in einem Liverollenspiel. Wie ich gerne schreibe, auch diesmal mit einem konstruierten Beispiel:

Ein NSC, der wenig zu tun hat, macht sich auf, die Spieler zu beklauen. Er wird erwischt (Womit das OT-Ziel erreicht ist, weil etwas passiert), und per sofort schaltet die Spielerschaft mangels anderem Wissen auf das ihnen Bekannte um. “Gericht”, “Verteidiger”, “Beweise”… die Worte sind schnell da, und fallen alle an verschiedenen Orten auf Platz synchron… und führen zur anschliessenden Verhandlung.

Unser (outime) vorherschendes GutBöse-Schema ist auf westlich-christlichen Werten aufgebaut. Und wird meistens unvoreingenommen in die Fanatsywelt adaptiert. So kommt es, dass “Mord und Totschlag” in jedem Fall als böse gekennzeichnet wird. (Während das Wort “Ehrenmord” bereits in den Balkanstaaten ein ganz anderes Gewicht hat). Diebstahl wird nicht so arg bestraft wird wie Totschlag, und Trunkenheit kann mildern gewertet werden. Doch bereits noch vor ein paar hundert Jahren war dem nicht so, und Sachwerten und Menschenleben wurde ein anderer Stellenwert zugemessen.

Warum wird in Religion und Hintergrund, in Ausrüstung und Austattung ein so grosser Wert darauf gelegt, dass man sich von modernen Massstäben abhebt – und beim Schema von Gut-und-Böse völlig auf die uns bekannten Werte setzt? Was ich mir wünschen würde ist ein anderer Massstab. GregorH hat das im Larpwiki schön beschrieben, wie man eine Einstellung einsetzen kann.

Ich wünsche mir, dass sich unsere Outtime-Stellenwerte von denen im Spiel unterscheiden. Das Prinzipien wie “Demokratie”, “Menschenleben”, “Sachwert”, “Untertanen”, “Verantwortung” und dergleichen anderst gewichtet werden. Dass eine Fantasywelt aus mehr besteht, als eine hübschen Karte, einem Grüppchen Leute und etwas Kopfkino der Initianten.

Fortschritt im Spiel

In einem Fantasy/Mittelalter – Rollenspiel werden soviele Elemente wie machbar und wie möglich in eine fremde Welt versetzt. Diese Zielwelt kann “geschlossen” sein (DSA, Phoenix, z.B.), aber im Fantasybereich ist sie im Normalfall “offen”. Soll bedeuten, das die Vorstellungen (Eine bunte Mischung zwischen Erlebtem und Gewünschtem) aller Mitspieler als Schnittmenge eine Fantasywelt erschaffen.

Beispiel: Herkunftsländer, mal anhand meines Spielumfelds: Cendara. Riedhburg. Dracconia. Tikon. Osgallon. Oriosa. Nette Liste – aber beispielweise hat Riedhburg im Spiel eigentlich keinen Bezug zu Tikon. Oder Cendara. Cendara wiederum hat wenig Bezug zu Dracconia. Trotzdem können Charaktere sich im Spiel begegnen, die aus den jeweiligen Ländereien stammen. Cendara als Staat kann völlig unbeeinflusst von Tikon sein, aber das Wissen um das andere Land muss trotzdem vorhanden sein.

Beispiel: Waffen- und Rüstungstechnik. Paradebeispiel Ringpanzer und Plattenpanzer. (Unbeachtet von Ausnahmen etc.), kommt in der Geschichte der Punkt, an dem die Ringpanzerära ersetzt wird durch eine Plattenpanzerära. Ab dem Moment ist es, als notwendige Schutzmassnahme für einen Soldaten™, effizienter für sein Geld den besseren Schutz – in dem Fall den moderneren – zu kaufen. Der Ringpanzer veraltet. In einer Fantasywelt bleiben ringpanzertragende Charaktere trotzdem bei ihrer Rüstung – obwohl das entsprechende Fachwissen für eine Verbesserung im Spiel/in der Spielwelt vorhanden ist.

Beispiel Kanonen und Onager. Obwohl mit dem Wissen um Schwarzpulver und Kanonen eine effizientere Waffe vorhanden wäre, schaffen sich Charaktere und Soldaten im Spiel schwächere Torsionsgeschütze oder dergleichen an. Auch hier wäre das Wissen vorhanden, wird aber nicht benutzt.

In allen drei Beispielen wird im Spiel gekonnt ignoriert, dass es eine verbesserte Variante gäbe, in allen drei Spielen wird auf den eigenen Charaktere und “zu ihm passende Details” mehr geachtet als auf einen logischen Konsens. Das Ganze führt zu der variantenreichen Spielwelt, wie man sie als Spieler schätzen kann. Eines etwas geht mir allerdings auf den Senkel: Charaktere, die gar nichts lernen. Die auch am vierten, fünften Spiel noch einen Fauxpas liefern können, weil sie etwas “nicht gewusst” haben – sie halten sich allerdings seit Monaten im Land auf. (Beispiel Fremde und Cendara. Quaron und Pekar.) Warum zum Deibel schaffen es gewisse Spieler nicht, ihren Charakteren wenigstens ein Minimum an Intelligenz beizubringen, und wenigstens den Namen des Landesherrn – auf dessen Land sie sich monatelang aufhalten – geistig abzulegen.

In dem Sinne darf ich sogar als “Bauer Jupp” etwas lernen – und irgendwann ist der Witz an der eigenen Dummheit auch vorbei.

Breite und Tiefe eines Spiels

Ich schreibe sorgfältig auf, an welchen Spielen ich war, was ich dort gespielt habe, und wann es war – zumindest mache ich das sorgfältig, seit ich bemerkt habe, dass ich bei gewissen Spielen nicht mehr mal sicher bin, in welchem Jahr sie stattgefunden haben. Kanns geben, aber etwas peinlich ist es mir ja schon.

Und jetzt sammeln sich langsam einige Charaktere an, die mehr als nur ein, zwei Spiele gespielt wurden. Und langsam mag ich entsprechende Rollen auch, so dass ich mich dabei erwische, wie ich bei der Ausschreibung im Larpkalender abchecke, ob ich “als Yori” hingehen kann, oder vielleicht mit dem Reisläufer Nathan. Doch nicht immer bin ich mir sicher, ob es passt – die Ausschreibungen im Larpkalender sind meistens etwas mau. Gleichzeitig errinere ich mich gerne an mein intensivsten Spiel, “Swiss Guantanamo”. Und bei ebendiesem hatte ich absolut keinen Einfluss auf auf meinen Charakter, ich bekam ihn vom Organisator zugeteilt.

So stehen sich meiner Meinung nach zwei ganz grosse Brocken gegenüber: Ein intensives Szenario, in dem die Charaktere aufeinander zugeschnitten sind (Szenario hat viel Tiefe), und ein intensives Charakterspiel, in dem das Szenario auf die Charaktere zugeschnitten ist (Charaktere haben (bereits) viel Tiefe). Beides hat Vor- und Nachteile. Während ersteres, ich nenne es jetzt mal “Szenario-Spiel” eine gewisse Spontanität der Spieler erfordert, braucht letzeres, nenn’ ich jetzt mal “Charakter-Spiel”, einen guten Informationsfluss von Spielern zu Organisatoren.

Die Vorteile beider Systeme liegen auf der Hand. Während “Szenario-Spiel” das Ganze für den Organisator leicht lässt – er weiss, was alles an Potential vorhanden ist, ist das “Charakter-Spiel” für die Spieler ansprechender, denn sie können Stammcharaktere mitbringen. Die Nachteile beider Systeme sind schwerer zu erfassen. So war es für mich bisher immer klar, dass ich mir einen zur Spielausschreibung passenden Charakter erstelle/adaptiere, damit ich auf Platz mich möglichst passend ins Spiel einbringen kann. Doch offensichtlich ist das nicht die Regel – zumindest in der Schweiz nicht – und ab und an stand ich völlig falsch da. Oder sah Andere falsch dastehen:

Heldenfest – Alle Anwesenden, die tatsächlich als Helden da waren…
AdAsburdum1 – Alle, die sich tatsächlich auf eine Gräfin und ihre Jagd eingestellt haben…

Beide Beispiele hat die Orga einen Plot geschrieben, der gegenüber der Ausschreibung Vorrang hatte. Beide Male waren Überraschungen eingeplant – und beide Male waren die Spieler, welche ihren Stammcharakter mitgebracht haben begeistert. Oder mindestens eher begeist als jene, die sich auf die Ausschreibung eingelassen haben. Was will ich damit sagen?

Zum einen, dass es auf die Dauer der Spielerschaft selber schadet. Wenn man zu jedem Spiel seinen Stammcharakter mitbringen kann, wird das Charakterspiel einen bedeutend höheren Stellenanteil bekommen als das “Szenarien bespielen”. Es besteht ein Risiko, dass man nicht mehr wegen des Spieles hingeht, sondern um die Charaktere (Oder die Spieler) wiederzutreffen, die man kennt. Zum anderen werden die möglicherweise intensiveren Szenarien nicht mehr angeboten – denn was niemand kennt, spielt auch niemand. In diesem Sinn lobe ich jedes Organisationsteam, welches restriktiv Charaktere ablehnt, und das zugunsten eines tieferen Spiels.

Für: Weniger Waldläufer im Tanzsaal – Weniger Hochadel in Tavernen – Weniger reine Unterhaltungscharaktere an Kriegsspielen.